Immer weniger Kinder können schwimmen. Wie ist es dazu gekommen und was muss nun unternommen werden. Wir haben Nicole Senn, eine Schwimmlehrerin aus der Schweiz zu diesem Thema interviewt.
Wieso ist es wichtig, dass Kinder schwimmen können?
Es muss nicht aus jedem Schwimmschüler ein Eliteschwimmer gemacht werden, aber die Grundlagen sollte jeder beherrschen, diese können Leben retten. Bei einem unverhofften Sturz ins Wasser kann somit jeder sicher den Beckenrand oder das Ufer erreichen. Viele Menschen gehen mit ungenügenden Schwimmkenntnissen ins Wasser oder betreiben Wassersportarten mit Schwimmhilfen, was fatale Folgen haben kann.
Stimmt es, dass durch Corona sehr vielen Kindern das Schwimmen nicht beigebracht wurde?
Ja, das stimmt leider. Die Kinder die zum Zeitpunkt des Beginns von Corona zwischen 4 – 6 Jahre alt waren haben hier den Einstieg verpasst. Hallenbäder waren eine Zeit lang geschlossen, Kursangebote wurden auch nach der Öffnung von vielen Schwimmschulen gestrichen oder es war kein Zertifikat vorhanden. Nun sind die jetzigen 4 – 6 jährigen Kinder soweit um Schwimmen zu lernen – aber es sind nicht so viele Plätze / Angebote vorhanden.
Wie viele Kinder können wegen Corona nicht schwimmen?
Es sind sehr viele Kinder, die nicht schwimmen können – beziffern kann ich sie nicht genau.
Der Grund liegt aber nicht alleine bei Corona. Die Tendenz, dass die Kinder immer später schwimmen lernen zeichnet sich schon seit mehreren Jahren ab. Es ist teilweise erschreckend, wie viele Kinder selbst im Oberstufenalter nicht schwimmen können.
Gibt es lange Wartelisten für einen Schwimmkursplatz?
Da wie bereits erwähnt die Kinder wegen Corona nicht schwimmen lernen konnten haben wir nun mindestens 4 Jahrgänge, welche einen Einstieg in die Schwimmkurse suchen. Zusätzlich erschweren schlechte Planung grad bei uns in der Umgebung momentan noch die Umstände, da 2 Hallenbäder zur Zeit wegen Umbau geschlossen sind, was das Angebot noch mehr einschränkt. Dementsprechend sind die Schwimmschulen komplett ausgebucht und die Wartelisten sehr lang.
Was ist zu tun um dieses Problem aus dem Weg zu schaffen?
Wir würden uns ein bisschen mehr Flexibilität von den Eltern wünschen. Viele kommen mit dem Wunsch eines bestimmten Tages oder einer bestimmten Zeit – und es geht nur dann. Wir können aber auf Grund des Belegungsplans im Hallenbad nicht alle Wünsche einzeln berücksichtigen. Wenn dann kein Angebot vorhanden ist sehen sie von einer Anmeldung der Kinder ab und hoffen dann wieder auf den Schulschwimmunterricht oder versuchen es den Kindern selbst beizubringen – ein Überdenken der Prioritäten würde hier schon sehr hilfreich sein. Auch müsste der Schulschwimmunterricht eine komplette Neustrukturierung erfahren um Lernerfolge zu erzielen.
Wieso melden Eltern ihre Kinder nicht zu Schwimmkursen an?
Ein Grund ist, dass sich viele Eltern leider darauf verlassen, dass ihr Kind das Schwimmen in der Schule im Schulschwimmunterricht erlernen wird. Auf Grund der grossen Gruppen, der unterschiedlichen Niveaus der Kinder sowie der mangelnden Kenntnisse der Lehrpersonen gestaltet sich das Schulschwimmen aber sehr schwierig und die Lernerfolge lassen sehr zu wünschen übrig.
Ein weiterer Grund ist auch, dass teilweise die Priorisierung anders gelegt wird oder der Aufwand, das Kind zum Schwimmunterricht zu bringen, einfach zu mühsam ist.
Gibt es eine Möglichkeit wie man es Eltern erleichtert, ihren Kindern Schwimmen selbst beizubringen?
Die meisten Schwimmtrainer und teilweise auch Schwimmschulen bieten Privatlektionen an. Eltern haben die Möglichkeit solche sporadisch zu buchen (grad mit dem Kind zusammen) und sich in einem 1:1 Training Tipps von den Trainern zu holen wie sie ihrem Kind das Schwimmen richtig beibringen können. Diese können dann privat ausgiebig geübt werden, dann kann man sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder eine Privatlektion buchen um die nächsten Schritte zu lernen.
Was wird passieren, wenn nichts unternommen wird?
Wenn die Tendenz weiter so voranschreitet wie bis jetzt und die Kinder immer später Schwimmen lernen werden wir in einigen Jahren umso mehr Kurse für Teenies und Erwachsene anbieten müssen. Jeder weiss aber, dass mit zunehmendem Alter das Lernen immer schwieriger fällt und somit mehr Zeit in Anspruch nimmt. Auch ist zu befürchten, dass die Zahl der Badeunfälle immer mehr ansteigt.
Gibt es einen Mangel an Schwimmlehrern?
Ich erlaube mir hier ein scharfes Urteil. Ein Mangel an Schwimmlehrern gibt es eigentlich nicht, aber einen Mangel an GUT AUSGEBILDETEN Schwimmtrainern. Wie in vielen anderen Bereichen tummeln sich auch hier viele schwarze Schafe. Die Anerkennung zum Schwimmlehrer kann schon mit ein paar wenigen Kursen bereits erlangt werden – die Anforderungen sind nicht sehr anspruchsvoll.
Ich empfehle bei der Suche nach einem Schwimmlehrer/Schwimmschule unbedingt darauf zu achten, dass sie mindestens über die Bezeichnung „Trainer“ verfügen. Selbst die Schwimmlehrer von sogenannten „zertifizierten“ Schwimmschulen verfügen meist nur über eine minimale Ausbildung.
Was sollte unternommen werden um den Beruf des Schwimmlehrers attraktiver zu machen?
Viele Aus- und Weiterbildungskurse sind für private Schwimmlehrer/Trainer nicht zugänglich. Die Anmeldung kann nur von einem J&S Coach gemacht werden – dafür muss man aber bei einem Schwimmverein arbeiten. Somit bleibt ein grosses Angebot verwehrt und man muss sich anderweitige Weiterbildungsmöglichkeiten suchen. Hier ist das Angebot aber einerseits rar und vor allem viel teurer. Dazu kommt, dass in der Ostschweiz so gut wie keine Angebote vorhanden sind und weite Wege in Kauf genommen werden müssen. Viele scheuen Zeit, Geld und Aufwand und besuchen deshalb keine regelmässigen Weiterbildungen – somit sind sie nach kürzester Zeit nicht mehr auf dem neuesten Stand. Das Angebot für alle öffnen und vor allem auch auf die Ostschweiz auszuweiten wäre ein grosser Pluspunkt zur Steigerung der Attraktivität.
Weitere Informationen zu den Schwimmkursen von Nicole Senn unter: https://ns-schwimmkurse.ch/
Eine Übersicht über weitere Schwimmkurse gibt es in unserer Kursübersicht.